Die Verhältnisse im Exil

Zwei Aspekte stehen im Mittelpunkt dieses Kapitels: erstens die Frage, was die Geflüchteten bei ihrer Ankunft in den Aufnahmeländern erwartete. Und zweitens, welche Perspektiven sie in der neuen Wahlheimat entwickeln konnten. Beide Themenkomplexe sollen im Folgenden exemplarisch beleuchtet werden.

Die Frage nach den Bedingungen, die in den Aufnahmeländern bei der Ankunft der Emigrierten herrschten, ist eng an die Einwanderungspolitik der jeweiligen Regierung und den Zeitpunkt der Flucht aus Deutschland geknüpft. Da auf die Einreisebestimmungen der Aufnahmeländer schon verwiesen wurde, soll der Fokus auf die sozialen Bedingungen gerichtet werden. In vielen europäischen Ländern war z.B. die Arbeitslosigkeit bis 1935 ein großes Problem, das die Einwanderungspolitik, aber auch die Stimmung gegenüber den Geflüchteten, beeinflusste.

Die Hilfsorganisationen orientierten sich häufig an den sozialen Bedingungen in den Aufnahmeländern

In den USA richtete sich die Skepsis gegenüber den potentiellen Einwanderern zeitweise bis weit in die jüdische Community. Andere Aufnahmeländer waren an der Immigration ausgewählter Berufsgruppen, meistens Handwerker oder Farmer, interessiert. Auf diese Weise sollten bestimmte Bereiche der Wirtschaft gefördert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Vor diesem Hintergrund ist die Umschulung jüdischer Emigrantinnen und Emigranten im Deutschen Reich zu sehen, die von den Hilfsorganisationen massiv gefördert wurde. Im Laufe der 1930er Jahre verbesserte sich in vielen Ländern die Arbeitsmarktsituation, gleichzeitig beschleunigte die Verstärkung der antijüdischen Repression im Deutschen Reich die Auswanderung.

Aus Angst vor dem Aufflammen sozialer Unruhen schlossen viele Länder 1938 die Grenzen

Als 1938, nach dem „Anschluss" Österreichs und dem Novemberpogrom, die Flüchtlingszahlen stark zunahmen, beschränkten zahlreiche Staaten ihre  praktizierte Bereitschaft zur Aufnahme der jüdischen Verfolgten wieder. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nach bekannt werden der Shoah, durften  Überlebende und in weit entfernte Länder Geflüchtete in ihre neue Wahlheimat einwandern.

An diesen sich ständig ändernden Bedingungen hingen auch die Zukunftsaussichten der jüdischen Eingewanderten. Es stellte sich heraus, dass es meist bis in die 1950er Jahre dauerte, bis die Existenzgrundlagen gesichert werden konnten. Oftmals waren es erst die Rückerstattungs- und Entschädigungsgelder aus der Bundesrepublik, die einen selbstständigen beruflichen Neustart oder einen gesicherten Lebensabend ermöglichten. Von den Schwierigkeiten, eine adäquate Arbeit zu finden oder gar im erlernten Beruf Fuß zu fassen, zeugen zahlreiche Aussagen der Geflüchteten.

Zeitlich befristete und schlecht bezahlte Jobs waren am Anfang die Regel

Vor allem Kaufleute und Angestellte hatten Probleme, angemessene Stellen zu finden. Aber selbst die nach Bedarf des Aufnahmelandes Umgeschulten fanden nur selten Arbeit in der neu erlernten Tätigkeit. Und wenn, dann waren die klimatischen Verhältnisse für Mitteleuropäer oftmals so ungewohnt, dass schwere körperliche Arbeit kaum verrichtet werden konnte. Das traf in erster Linie auf Palästina und Südamerika zu. Nicht selten wanderten die Betroffenen nach dem Zweiten Weltkrieg daher in die USA weiter oder versuchten sogar die Remigration nach Deutschland.


 

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