Verfolgung

Nach dem 30. Januar 1933 veränderte sich die Lebenssituation für die jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gravierend. Mit dem Regierungsantritt Hitlers wurden die bereits vorhandenen antisemitischen Stimmungen in eine bestimmte Richtung gelenkt.

Schon vor dem Boykott gegen Geschäfte, Anwaltskanzleien und Arztpraxen am 01. April 1933 war es zu Aktionen und Übergriffen gegen den jüdischen Bevölkerungsteil gekommen. Die anschließenden gesetzlichen Maßnahmen gegen Richter, Anwälte, Beamte, Angestellte, Schüler und Studierende im Frühjahr 1933 machten die wirklichen Absichten der NS-Regierung deutlich: Die geplante Verdrängung aus dem Berufsleben und der verordnete Ausschluss von Ausbildung und Lehre zielten auf die ökonomischen Lebensgrundlagen der Verfolgten und letztlich auf ihre Vertreibung.1

Allerdings schränkten andere Maßnahmen die Emigrationsplanungen der Verfolgten erheblich ein. Vor allem die Steuer- und Devisenpolitik des NS-Regimes zeigte im Laufe der 1930er Jahre Wirkung. In der Zeit von 1933 bis zum Kriegsausbruch 1939 erließen die zuständigen Ministerien zahlreiche Gesetze zur Kontrolle des „jüdischen Vermögens". Durch die Überwachung des Zahlungsverkehrs verschafften sich die Behörden einen genauen Überblick über Konten, Aktien-Depots, Firmen- und privates Eigentum. Auch die Devisenüberwachung durch die Finanzbehörden muss als wesentlicher Faktor der Behinderung des Emigrationsprozesses betrachtet werden.2

Überwachung der Konten behinderte die Flucht

Für viele Verfolgte hatte die komplette Erfassung ihres Besitzes durch Finanzämter, Zollfahndung, Gestapo, Parteiorganisationen, Wirtschaftsverbände und Regionalbehörden fatale Folgen. Reichsfluchtsteuer, Auswandererabgabe, Judenvermögensabgabe und DeGo-Abgabe hießen bis zum Kriegsausbruch 1939 die wichtigsten Instrumente, mit denen sich die nationalsozialistische Administration des „jüdischen Vermögens" bemächtigte. So sollte z.B. die 1931, noch zu Zeiten der Weimarer Republik, erhobene Reichsfluchtsteuer ursprünglich nur die Devisenflucht während der Weltwirtschaftskrise verhindern. Im Laufe der 1930er Jahre nahm diese Steuer eine deutlich antisemitische Ausrichtung an. Sie wurde fast ausschließlich bei Juden und Jüdinnen erhoben, bei denen man Vermögenswerte vermutete und eine Fluchtabsicht voraussetzte.

Die Auswandererabgabe erhielt die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, sie diente der finanziellen Beteiligung am Wohlfahrtssystem und an der Auswanderbeihilfe. Damit zahlten die Geflüchteten die Lasten für die Zurückbleibenden. Nach dem Pogrom vom November 1938 hatten die jüdischen Gemeinden ihre letzten Mittel aufzubringen, um für die Beseitigung der Schäden, die durch die antisemitischen Übergriffe verursacht worden waren, selbst aufzukommen. Mit einer Abgabe an die Deutsche Gold-Diskontbank (DeGo) schließlich ließ sich das NS-Regime die Transfererlaubnis für das Umzugsgut jüdischer Emigranten bezahlen. Die Transportkosten waren gesondert zu entrichten.

Alltags-Terror und Boykott erhöhten den Druck

Ökonomische und fiskalische Verfolgungsmerkmale sind aber nur ein Faktor des Emigrationsprozesses. Die radikale Ausgrenzung auf fast allen gesellschaftlichen Ebenen war eine weitere Ursache für die Flucht der jüdischen Deutschen. Zusammen mit dem Alltags-Terror der NS-Verbände machten sie am Ende auch die staatliche Ausplünderung der Deportierten erst möglich. An einigen Beispielen lässt sich belegen, dass die Boykottmaßnahmen nicht immer die von der NS-Regierung gewünschten Folgen nach sich zogen. Viele Kunden, Mandanten und Patienten jüdischer Geschäftsleute, Anwälte und Ärzte bevorzugten weiterhin die gewohnten und geschätzten Leistungen. Erst massiver Druck durch nationalsozialistische Organisationen und die gleichgeschaltete Verwaltung zwang die „arischen Volksgenossen" dazu, ihre Kontakte abzubrechen oder zumindest erheblich zu reduzieren. Nachweisbar sind in diesem Zusammenhang einige Fälle aus der dörflichen und kleinstädtischen Umgebung Göttingens.3


Fußnoten

  1. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 07. April 1933 und das „Gesetz gegen die Überfüllung von Schulen und Universitäten" vom 25. April 1933 waren gegen jüdische Beamte und jüdische Studierende gerichtet.
  2. Zur antisemitischen Ausrichtung der Finanzpolitik im Nationalsozialismus vgl. Hans-Dieter Schmid: „Finanztod". Die Zusammenarbeit von Gestapo und Finanzverwaltung bei der Ausplünderung der Juden in Deutschland, in: Gerhard Paul / Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront" und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 141-154; Christoph Franke: Legalisiertes Unrecht. Devisenbewirtschaftung und Judenverfolgungen am Beispiel des Oberfinanzpräsidiums Hannover 1931-1945, Hannover 2011; Christiane Kuller: Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, München 2013.
  3. So z.B. in Gelliehausen, Duderstadt und Hann. Münden. Zu nennen sind die Familien Löwenstein, Rosenbaum und Graupe.

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