Finanzämter

Im Laufe 1930er Jahre erhielten die örtlichen Finanzämter immer mehr Kompetenzen bei der Erfassung und Verwertung des jüdischen Eigentums. Sie nutzten ihren gewachsenen Handlungsspielraum zumeist repressiv und zogen Wertgegenstände der Verfolgten auch zur Nutzung in der eigenen Behörde ein.

Für den südlichen Teil Niedersachsens waren die Finanzämter Göttingen, Hann. Münden und Northeim zuständig. Zunächst beschränkten sich ihre Aufgabenbereiche auf steuerliche Registrierungsmaßnahmen. Ministerien und höhere Finanzbehörden hatten dafür schon früh antijüdische Sonderregeln entwickelt. Das betraf die anfangs noch allgemein gültige Reichsfluchtsteuer, aber auch diverse Devisenbestimmungen. Mit der grundlegenden Erfassung des „jüdischen Vermögens" seit 1937/38 und dem Erlass der Sicherungsanordnungen für Eigentumswerte, die eine bestimmte Freigrenze überschritten, begann der Ausbau der Zuständigkeitsbereiche der lokalen Finanzbehörden.

Finanzbeamte waren an Versteigerungen beteiligt

Die Lokalverwaltungen waren den Finanzämtern gegenüber auskunftspflichtig, auf der anderen Seite hatten sich die Steuersekretäre mit Parteigremien wie den Kreisleitungen abzusprechen und den übergeordneten Gestapostellen Bericht zu erstatten. Auch mit der Städtischen Sparkasse in Göttingen bestand ein regelmäßiger Informationsaustausch. Veränderung bei den Guthaben jüdischer Konteninhaber waren der Behörde zu melden. Über die Schreibtische der Finanzbeamten gingen aber nicht nur Namenslisten. Sie waren direkt in Versteigerungsaktionen des jüdischen Umzugsguts der Geflüchteten involviert, später übten sie die Aufsicht über die Versteigerungen des Hausrats der Deportierten aus, die von Auktionatoren durchgeführt wurden.

Zu Beginn ihrer Aktivitäten hinsichtlich des jüdischen Eigentums befassten sich die lokalen Finanzämter hauptsächlich mit der Verwaltung der erlassenen Sondersteuern.1 Die Reichsfluchtsteuer, schon vor Beginn der NS-Zeit seit 1932 erhoben, richtete sich mit zunehmender Auswanderungsbereitschaft fast ausschließlich gegen den Besitz der jüdischen Verfolgten. Anfangs berechneten die Finanzämter 25 Prozent des Gesamtvermögens als Abgabe, im Laufe der 1930er Jahre erhöhte sich der Steuersatz über 75 Prozent auf ca. 90 Prozent. Der jährliche Einkommensfreibetrag, der anfangs bei 10.000 RM gelegen hatte, wurde später auf 5.000 RM gesenkt. Gleichzeitig war nur noch ein Vermögen von 20.000 RM, inklusive Hausbesitz, steuerfrei.

Als zweite wesentliche Sondersteuer führte Hermann Göring am 12. November 1938 eine Zwangsabgabe, die sogenannte Judenvermögensabgabe (JuVA), in Höhe von 1 Milliarde Reichsmark „für die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk" ein. Nach dem von den Nationalsozialisten entfesselten Pogrom vom 09. November 1938 sollten die Opfer der Überfälle die erzeugten Schäden selbst begleichen. Den pauschalen Betrag von 1 Milliarde RM legten die jüdischen Gemeinden auf ihre Mitglieder um. Den Finanzämtern vor Ort war auferlegt, die Steuerpflichtigen zu erfassen und für einen reibungslosen Ablauf des Steuereinzugs zu sorgen. Dazu richteten die Ämter Überwachungsabteilungen ein. Die Beamten ermittelten in Zusammenarbeit mit den anderen lokalen Behörden die Zahlungspflichtigen und legten Namenslisten an.

Die örtlichen Finanzämter arbeiteten bei den Kontensperrungen mit

Ab 1937 erließen Reichswirtschafts- und Reichsfinanzministerium (RWM und RWF) permanent neue Verordnungen, um die Erfassung und Sperrung des „jüdischen Vermögens" zu regeln. Die Erlasse unterhalb der Gesetzebene waren direkt an mittlere und untere Verwaltungsorgane gerichtet. Zentraler Punkt war die Sicherungsanordnung, mit der Sparguthaben und Wertpapierdepots jüdischer Inhaber gesperrt werden konnten. Sobald der Verdacht bestand, dass Verfolgte mit entsprechenden Rücklagen die Emigration anstrebten, wovon man bei Juden und Jüdinnen generell ausging, sollten die Konten gesperrt werden. Um an Informationen über die Betroffenen zu kommen, benötigte man wiederum die Mitarbeit der örtlichen Finanzämter. Überwachung und Kontensperrungen hatten Folgen für die Auswanderungswilligen. Ihr Handlungsradius wurde erheblich eingeschränkt, da für Abhebungen von den gesperrten Guthaben eine behördliche Genehmigung nötig war.

Die Erfassung des jüdischen Eigentums diente aber nicht nur der Erhebung von Sondersteuern. Nach der Emigration beschlagnahmte der Staat häufig den gesamten zurückgelassenen Besitz der Geflüchteten infolge des Entzugs der Staatsbürgerschaft.2 Mit Beginn der Deportationen im Herbst 1941 nahmen die Behörden den ehemaligen jüdischen Bürgern und Bürgerinnen die Staatsangehörigkeit generell, um den großen Raubzug gegen das zurückgelassene und beschlagnahmte Eigentum der Deportierten und Emigrierten beginnen zu können. Von den Enteignungen profitierte in erster Linie die Reichskasse. Der NS-Staat benötigte Mittel für die Kriegsrüstung. Aber auch lokale Behörden kamen in den Besitz neuer Einrichtungen.

Finanzämter Göttingen und Hann. Münden bedienten sich bei Deportierten

Neben den Finanzämtern waren auch Zollämter und einfache Verwaltungsbehörden Profiteure der Verstaatlichungen. Das Finanzamt Göttingen führte eine Liste mit 81 Posten, von Büromöbeln über Aktenschränke bis zu Spiegeln, Teppichen und Bettstellen, die in den „Dienstgebrauch" des Amtes integriert wurden und sich 1945 noch dort befanden. Über 20 jüdische Haushalte, fast alle aus Göttingen, waren ab 1939 von den Beschlagnahmungen im Gesamtwert von 1.549 RM betroffen.3 Eine Liste des Finanzamts Hann. Münden dokumentiert die früheren Eigentümer, die Gegenstände, die in den Besitz des dortigen Finanzamts gelangt waren, und ihren Wert. Der Aufbewahrungsort der „für den Dienstgebrauch zurückbehaltenen oder übernommenen Gegenstände" wird ebenfalls erwähnt.

Es sind vor allem die Amtsräume des Finanzamtsvorstehers und eines weiteren Finanzbeamten, die mit Vorhängen, Teppichen, Tischlampen, Lederstühlen, Schreibtischen und einer Chaiselongue aus den jüdischen Haushalten Proskauer, Löwenthal, Blankenberg, Meyer und Madelong gemütlicher gestaltet wurden. Das Hauptzollamt Hann. Münden benutzte Stühle mit Rohrsitz aus dem Versteigerungsgut der Gebr. Meyer, eine Schreibmaschine und Handtücher unbekannter Herkunft. In Göttingen durfte das Zollamt Bücherschränke und Schreibtische von Gustav Mosenthal aus Dransfeld in Besitz nehmen. Erst Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs mussten die Behörden Ausgleichszahlungen für die entzogenen Möbel an die überlebenden Familienagehörigen entrichten.


Fußnoten

  1. Zu den "Sondersteuern" siehe die entsprechende Unterseite auf dieser Website.
  2. Auf der Unterseite "Entzug der Staatsbürgerschaftt" werden Fallbeispiele angeführt.
  3. Nachweisungen der beschlagnahmten Einrichtungsgegenstände vom 09.09.1945, NLA-HStAH, Hann. 210 Acc. 160/98 Nr. 4 Bl. 98/99, 105 und 164.

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